Bayerische Geschichte(n) 08/2011: Flucht über die Schweizer Grenze

Ein Bild aus glücklicheren Tagen der Familie Rosenfeld: Else Behrend-Rosenfeld mit ihren Kindern Peter (li.) und Hanna, 1923.

Liebe Leserin, lieber Leser,

1939 begann für das jüdische Ehepaar Rosenfeld das Leben in zwei Welten. Während es Siegfried Rosenfeld und den Kindern gelang, nach England zu fliehen, musste seine Frau Else in Deutschland ausharren. Ihre Ängste und Sehnsüchte vertrauten beide ihren Tagebüchern an; und sie schrieb über 200 Briefe an ihre nichtjüdische Freundin Eva in Weimar, die ihr eine wichtige Helferin war. Er erlebte die Sorgen und die Hilflosigkeit des Exils, sie hatte in der Internierung in der „Heimanlage für Juden Berg am Laim“ und später im Untergrund in Berlin und Freiburg ständig den Tod vor Augen.

Am 20. April 1944 trifft sie einen Schleuser aus der Fluchthilfeorganisation von Luise Meier, der sie in die Schweiz bringen soll.

Josef Höfler, Luise Meier, Gertrud Höfler und Elise Höfler, um 1952. Josef Höfler war vermutlich der erste Schleuser von Else Rosenfeld.

„Da – dort drüben stand ein kleiner Mann, wie zufällig, eine Zigarette rauchend, gleichmütig die Vorübergehenden betrachtend. War das nicht ein fast unmerkbares Nicken des Kopfes, ein Blinzeln der Augen, als er mich sah? Und nun wandte er sich ruhig und schritt eine Querstraße hinunter. Ich folgte; jetzt klopfte mein Herz so stark, daß ich meinte, es müßte zerspringen! Aber was war das? Der Mann, den ich fest im Auge behielt, hatte sich wieder umgewandt und ging nun an mir vorüber. Sollte ich mich geirrt haben?

Doch ich konnte ihm jetzt nicht folgen, das wäre zu auffällig, also ging ich noch ein wenig langsamer die Straße in der begonnenen Richtung weiter. Jetzt – mein Herz tat einen Sprung! – da kam der gleiche kleine Mann wieder an mir vorbei und schritt ein wenig schneller vor mir her. Er war es! Nun war ich ganz sicher! Allmählich verlief sich der Strom der Menschen, auch die Häuser wurden seltener …. Da stand der Mann still und ließ mich herankommen. „Ich komme von Xaver“, nannte ich die Parole. Er nickte. „Sie sind richtig, mit Ihnen kann man etwas machen“, sagte er anerkennend.“

 

Else und Siegfried Rosenfeld, 1945.


„Wir ratterten im Bummelzugtempo durch die Nacht …Vor der letzten [Haltestelle] sagte der [kleine] Mann kurz: „Wir sind gleich da“. Ich stieg hinter ihm aus, mir kam vor, es sei noch dunkler geworden, man konnte keine Hand vor Augen sehen. ,Hier sollen wir den zweiten Mann treffen, der sie weiter führen wird‘. … Jetzt trat jemand zu uns. … ‚Gehen Sie immer etwa zwanzig Schritte hinter mir‘, er zündete sich eine Zigarre an, tat ein paar Züge, die sie hell aufglimmen ließen, und begann zu gehen. … eine ungeheure Stille senkte sich auf uns herab… Plötzlich durchzuckte mich ein furchtbarer Schreck. Ich hatte den Mann verloren, ich sah und hörte ihn nicht mehr. … Ich blieb stehen. Wie lange? Ich weiß es nicht, ich weiß nur, daß in dieser Zeit mein ganzes Leben an mir vorüberzog …“

 

Else und Siegfried Rosenfeld im Jahr 1946 in England.

 

„Aber narrte mich ein Spuk, ein Irrlicht, oder kam der Leuchtpunkt der Zigarre in der Hand des Mannes mir wirklich näher? Ja, er war‘s. Da war er neben mir, flüsternd hörte ich ihn sagen: „Der Dritte ist nicht gekommen. Fassen Sie meine Hand, wir müssen von der Straße fort.“ … „Hören Sie unten den Bach?“ fragte er … Ich bejahte. „Wir sind auf einem Hang, der dem Bach parallel verläuft. Gehen Sie möglichst auf gleicher Höhe weiter, das Rauschen des Baches gibt Ihnen die Richtung an“, er hob den Arm mit der glimmenden Zigarre. „Drüben liegt eine Strecke bachaufwärts das deutsche Zollhaus, auf dieser Seite des Baches kommen später die Grenze und das Schweizer Zollhaus. Das müssen Sie erreichen.“

Else Rosenfelds ausführlich kommentiertes Tagebuch, ihre hier erstmals veröffentlichten Briefe aus dem Untergrund und sein bisher unveröffentlichtes Exiltagebuch erzählen von Liebe und Trennung, von Mut und Seelenstärke, von Denunzianten und Helfern in den dunklen Jahren des 20. Jahrhunderts.
Mehr Informationen zur Buchpräsentation am 30. Mai 2011