Eine Familiengeschichte in der Reisetasche

Familie Kretschmer, 1903. Im Vordergrund Josef Kretschmer, der diese Fotografie aus der alten Heimat schmuggelte.
Familie Kretschmer, 1903. Im Vordergrund Josef Kretschmer, der diese Fotografie aus der alten Heimat schmuggelte.

„Personen, welche für den Abtransport bestimmt sind, haben ihre Wohnung in vollster Ordnung zu verlassen. Gepäck wird für eine Person zugelassen: 1 Gepäckstück von 60 kg und Handgepäck von höchstens 10 kg.“ Es war keine leichte Aufgabe, ein ganzes Leben auf den Inhalt eines Koffers zu reduzieren. Dass es viele Sudetendeutsche mitten in der Hektik und Ungewissheit der Vertreibung trotzdem schafften, eine erstaunliche Menge an Fotos, Briefen und auch offiziellen Dokumenten aus der alten Heimat zu retten, zeigt, wie wichtig die Bewahrung der eigenen Vergangenheit, die Möglichkeit zur Erinnerung war und immer noch ist.

Maria Kretschmer ist dank des geschickt eingebauten doppelten Bodens in der Reisetasche ihres Vaters Josef im Besitz eines solchen Erinnerungsschatzes. Die sorgsam geordneten, meist zweisprachig tschechisch-deutschen Dokumente zeichnen den Weg ihrer Familie von der Donaumonarchie über die erste Tschechoslowakische Republik, das Dritte Reich, die Nachkriegszeit mit Enteignung und Vertreibung bis hin zum Neuanfang in Bayern nach.

Neben dem sehr persönlichen Blick auf die Sammlung der Familie Kretschmer gibt der Band „Erinnerungskultur und Lebensläufe“ Aufschluss über ein mehr als erinnerungswürdiges Kapitel bayerisch-böhmischer Vergangenheit. Die Herausgeber Marita Krauss, Sarah Scholl-Schneider und Peter Fassl lassen mit Hilfe zahlreicher Privatfotografien sowie den dazu gehörigen Geschichten die Fragen nach Art, Wandel und Aufrechterhaltung von Erinnerung lebendig werden.