Bayerische Geschichte(n), 5/2017: Die Irrungen und Wirrungen der bairischen Sprache

Liebe Leserin, lieber Leser,

Semmel ist die Bezeichnung für Gebäck aus weißem Weizenmehl. Weswegen ein Roggenschuberl natürlich keine Semmel ist. Folgerichtig kennt die bairische Backtradition zahlreiche weitere Bezeichnungen für kleines Brotgebäck wie Kuppeln, Pfenningmuckerl, Maurerlaiberl oder Riemische Weckerl
Semmel ist die Bezeichnung für Gebäck aus weißem Weizenmehl. Weswegen ein
Roggenschuberl natürlich keine Semmel ist. Folgerichtig kennt die bairische Backtradition zahlreiche weitere Bezeichnungen für kleines Brotgebäck wie Kuppeln, Pfenningmuckerl, Maurerlaiberl oder Riemische Weckerl. (aus: Hubers Bairische Wortkunde)

was macht eine bayerische Hausfrau, wenn ein Rezept die Beigabe von säuerlichen Kirschen erfordert? Sie notiert „Weichseln“ (bairisch) auf ihrem Einkaufszettel, fragt im Supermarkt nach „Sauerkirschen“ (hochdeutsch) und bekommt schließlich ein Glas „Schattenmorellen“ (norddeutsch). Sprachverwirrung total – dabei fußt die bayerische Eigenheit in Sprachdingen, der liebevoll gepflegte Dialekt, auf einem äußerst respektablen römischen Erbe: Das alte Latein spukt immer wieder ins Bairische hinein. Aus diesem Grund sucht man außerhalb Süddeutschlands auch die „Semmel“ vergebens. Den Bewohnern Restdeutschlands kann man ihre „Brötchen“ aber kaum zum Vorwurf machen: Nördlich des Limes – zu Zeiten von Römern und Germanen reines Roggenanbaugebiet – wusste man nichts vom lateinischen simila, dem feinen, hellen Weizenmehl südlicherer Gefilde, das den Semmeln ihren Namen verliehen hat.

Gerald Huber
Gerald Huber, unser Experte für sämtliche Irrungen und Wirrungen der bairischen Sprache

Und um beim Bäckerhandwerk zu bleiben: Die bayerischen „Platzl“, norddeutsch „Plätzchen“, haben ihren Ursprung ebenfalls in der Antike. Diesmal waren sogar die Griechen Stichwortgeber für das lateinische placenta (kleines, flaches Gebäck), denn in Athen sagte man einst plazo – ich schlage breit – und ebnete somit wortwörtlich den Weg für die heutigen Platzl. Deren Teig, nicht zu verwechseln mit dem Keks und seiner Herstellung, wird schließlich früher wie heute mit ordentlichem Einsatz von Körperkraft breit geschlagen, gedrückt oder ausgewellt. Der „Keks“ hingegen ist etymologisch viel moderner als sein weihnachtlicher Verwandter. Aus dem englischen cakes (Plural von cake, der Kuchen) entstand der deutsche Keks. Der aufmerksame Leser bemerkt: Das ist ja schon ein Pluralwort und korrekt müsste es „ein Kek, zwei Keks“ heißen! Mit dieser Erkenntnis und ihren Folgen darf sich aber gern der Preiß herumschlagen, während der Bayer genüsslich in ein, zwei, drei, viele Platzl beißt.

 

Lange vergriffen, jetzt in Neuauflage wieder im Handel: „Hubers Bairische Wortkunde“ im handlichen Taschenbuchformat. Der BR-Journalist Gerald Huber beleuchtet in seinem Kultbuch nicht nur das antike Spracherbe des Bairischen. Mit wissenschaftlichem Fachwissen und unnachahmlichem Humor setzt er dem Dialekt ein kraftvolles Denkmal, zeigt, warum es sich lohnt, die Preußen zu derblecken, und warum Bairisch das eigentliche Hochdeutsch ist.