Bayerische Geschichte(n), 23/2016: Eine bayerische Wirtschaftselite stellt sich vor

Geheimer Kommerzienrat Dr. Ernst Sachs, um 1930 (Foto: Sachs-Archiv der ZF Friedrichshafen AG, Schweinfurt)
Geheimer Kommerzienrat Dr. Ernst Sachs, um 1930 (Foto: Sachs-Archiv der ZF Friedrichshafen AG, Schweinfurt)

Liebe Leserin, lieber Leser,

das Begräbnis von Ernst Sachs im Jahr 1932 kam einem Staatsakt gleich. Auf dem Weg vom Werksgelände der Firma „Fichtel & Sachs“ zum Ehrengrab auf dem Schweinfurter Friedhof säumten Zehntausende die Straße, um den erfolgreichen Unternehmer auf seiner letzten Reise zu begleiten. Die Presse, darunter sogar Organe der Arbeiterschaft, würdigten in ihren Nachrufen das Leben und Wirken des Kugellager- und Fahrradnabenfabrikanten, der es geschafft hatte, ohne nennenswertes Vermögen, vor allem durch seine exzellenten Kontakte in die Radsportszene, an die Spitze der Gesellschaft zu klettern. Die Krönung seines sozialen Aufstiegs war im Jahr 1910 die Ernennung zum Kommerzienrat und sieben Jahre später zum Geheimen Kommerzienrat. Diese Titel wurden in Bayern seit 1880 an herausragende Persönlichkeiten des Wirtschaftslebens verliehen, die sich aufgrund ihres ökonomischen Erfolgs, aber auch ihres sozialen Engagements hervorgetan hatten.

Prinz Ludwig, später Ludwig III., besucht die k.b. Hof-Handschuhfabrik Roeckl, 1906 (Foto: Privatbesitz Familie Roeckl)
Prinz Ludwig, später Ludwig III., besucht die k.b. Hof-Handschuhfabrik Roeckl, 1906 (Foto: Privatbesitz Familie Roeckl)

Die Stadt mit den meisten Kommerzienräten war München: 438 Unternehmer und Großkaufleute wurden hier mit dem Titel ausgezeichnet. Einer von ihnen war Heinrich Roeckl, dessen „Handschuhfabrik Roeckl“, zeitweise fast 1.000 Handschuhmacher, Gerber und Näherinnen beschäftigte. Den Erfolg der Firma verdankte Roeckl in erster Linie seinen ausgezeichneten gesellschaftlichen Kontakten, vor allem den verwandtschaftlichen Beziehungen zur Brauerdynastie Sedlmayr sowie zur Familie Seidl – darunter die einflussreichen Architekten Gabriel und Emanuel Seidl. Seine exponierte gesellschaftliche Stellung – 1904 wurde Roeckl sogar zum „Honorarkonsul von Chile“ ernannt – zeigte er gerne in der Öffentlichkeit: „Anlässe, um im goldbestickten Diplomatenfrack, in Escapins und Schnallenschuhen, im Zweimaster mit der chilenischen Kokarde, den Ehrendegen an der Seite anzutreten, nahm er stets gerne wahr.“

Die Pfaff-Nähmaschine als Exportschlager in Afrika, handkurbelbetrieben, wohl 1920er Jahre (Foto: Stadtarchiv Kaiserslautern)
Die Pfaff-Nähmaschine als Exportschlager in Afrika, handkurbelbetrieben, wohl 1920er Jahre (Foto: Stadtarchiv Kaiserslautern)

In den Jahren 1880 bis 1928 wurden insgesamt 1.850 Personen mit dem Titel Kommerzienrat ausgezeichnet. Eine Sonderrolle nimmt hier Carolina, genannt Lina, Pfaff ein. Die Alleininhaberin der weltweit bekannten Nähmaschinenfabrik „G. M. Pfaff“ aus Kaiserslautern – das zur damals bayerischen Pfalz gehörte – war die einzige Frau, der dieser bedeutende Wirtschaftstitel verliehen wurde. Ausschlaggebend waren hier vor allem ihre sozialen Verdienste. Für die „Georg-Pfaff-Gedächtnisstiftung“, die sie in Gedenken an ihren verstorbenen Bruder eingerichtet hatte, spendete sie die enorme Summe von 1,5 Millionen Mark. Mit dem Geld wurden Werkswohnungen für die Belegschaft der Nähmaschinenfabrik, das sogenannte „Pfaff-Dorf“, sowie eine Kinderkrippe gebaut. Als die einzige Kommerzienrätin Bayerns – und Deutschlands – im Jahr 1929 starb, fand auch hier eine große Begräbnisfeier statt, die von zahlreichen Honoratioren besucht wurde. Lina Pfaff hatte es geschafft, sich in einer Männerwelt zu behaupten.

Das Buch „Die bayerischen Kommerzienräte“, herausgegeben von Marita Krauss, geht in 35 reich bebilderten Aufsätzen detailliert auf die Geschichte der wichtigsten Wirtschaftsbürger Bayerns ein, die in der Zeit von 1880 bis 1928 die ökonomischen, aber auch politischen Geschicke des Freistaats lenkten. Dabei liegt der Fokus nicht nur auf wirtschaftlichen Aspekten, sondern auch auf den Persönlichkeiten und Lebensstilen der Kommerzienräte. Eine unverzichtbare Ergänzung ist hierbei der Lexikonteil, der in 1.850 Kurzbiografien ein Licht auf diese in Vergessenheit geratene Wirtschaftselite wirft.