Bayerische Geschichte(n) 22/2011: Aufbruch ins neue Jahrhundert

Erst scheiterte es aus Geldmangel, in den 90er Jahren verzögerte Streit die Umsetzung: das dritte Sternhochhaus: Mit zeitgenössischen Architekturmerkmalen ausgestattet, fügt es sich doch in die bestehende Hochhaus-Wohnsiedlung ein; 2005–2007 von Steidle Architekten ausgeführt;

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als Berlin 1945 von den Alliierten besetzt und in vier Sektoren aufgeteilt wurde, verlagerte die dort seit fast 100 Jahren ansässige Firma Siemens große Bereiche des Unternehmens nach München. Siemens beauftragte damals Emil Freymuth, eine Siedlung im Münchner Stadtteil Obersendling mit 528 Arbeiterwohnungen zu planen. Mit den beiden 17-geschossigen, die Reihenhäuser der Anlage überragenden Hochhäusern auf sternförmigem Grundriss, erschuf Freymuth die erste Hochhaus-Wohnsiedlung in Süddeutschland. Von ihrer Architektur über die Ausstattung der Einzelwohnungen bis hin zu ihrer Konzeption als Parkstadt galt die Anlage als sehr modern. Ein geplantes drittes Hochhaus konnte jedoch aus Kostengründen nicht realisiert werden.

Futurismus im Herzen Münchens: Der "Pavillon 21 MINI Opera Space" von Coop Himmelb(l)au entstand 2010 als temporäre Spielstätte der Bayerischen Staatsoper.

Anfang der 1990er Jahre wurde das Areal grundlegend saniert und unter Denkmalschutz gestellt. Im Zuge dessen griff man – mit vierzig Jahren Verspätung – die Pläne eines dritten Sternhauses wieder auf. In einem beschränkt offenen Wettbewerb setzte sich das Konzept des damaligen Rektors der Akademie der Bildenden Künste in München, Otto Steidle, durch. Allerdings scheiterte die Umsetzung des Projekts zunächst über Jahre hinweg an einem Rechtsstreit der Anlieger mit der Stadt München als Genehmigungsbehörde und den Siemenswerken. Erst ab 2005 konnten die Bauarbeiten endlich beginnen – ein Jahr nach dem Tod Steidles.

Hochhäuser bestimmten zwar in den letzten Jahren die Diskussion um zeitgenössische Architektur in München; doch Spektakulärers ist auch in der Vertikalen entstanden: Hier die IVG-Medienbrücke auf dem ehemaligen Pfanni-Gelände in München-Berg am Laim, 2009–2010 ebenfalls von Steidle+Partner entworfen.

Das neue Hochhaus in Stahlbetonmassivbauweise behält mit seinem Sockel, den Wohngeschossen und einer kleinen Maisonettewohnung als Attikageschoss die klassische Dreiteilung bei. Auch die Höhe von rund 50 Metern sowie die – allerdings verzerrt aufgebrochene – Sternform verbinden das Objekt mit seiner architektonischen Umgebung. Dem veränderten Geschmack der Zeit trägt auf eindrucksvolle Weise die Folge alternierender hoch- und querrechteckiger Fenster Rechnung, während die ursprüngliche Architektur dem Prinzip strenger Fensterachsensymmetrie folgt.

Mit dem "Haus der Gegenwart" in der Messestadt Riem entstand ein reiner Experimentalbau, um ein neues Konzept des generationenübergreifenden Zusammenlebens zu veranschaulichen. Das Gebäude nimmt damit eine Sonderstellung in der Münchner Architekturlandschaft ein.

Eine späte Ehrung wurde Steidles Entwurf 2008 mit dem Preis für Stadtbildpflege im Wettbewerb „Denkmalschutz und Neues Bauen“ der Landeshauptstadt München zuteil, was fast ein wenig ironisch anmutet, hatte man doch zunächst dem Landesamt für Denkmalpflege gegenüber harte Überzeugungsarbeit leisten müssen, was die Farbgestaltung des Neubaus betraf. Über fünf Jahrzehnte hatte es letztlich gedauert, bis Freymuths Idee einer Hochhaus-Trias endlich Realität geworden war.

„Aufbruch ins 21. Jahrhundert. Münchner Architektur und Städtebau seit 1990“ zeichnet die kontinuierliche Veränderung und Weiterentwicklung der Stadtgestalt der letzten zwanzig Jahre am Beispiel von über 200 Objekten nach.