Bayerische Geschichte(n), 2/2020: Weltoffenheit im altbayerischen Bauernland – 100 Jahre Penzberg

Liebe Leserin, lieber Leser,

kurz nach der harten Zäsur des Ersten Weltkriegs und mitten in den bayerischen Revolutionswirren wurde Penzberg 1919 zur Stadt erhoben. Anlässlich des hundertjährigen Jubiläums im letzten Jahr erzählt der Historiker Reinhard Heydenreuter die Biografie seiner Heimatstadt von der ersten keltischen Siedlung bis zum überregional bedeutenden Wirtschaftsstandort.

 

Als 1865 die Bahnlinie Tutzing-Penzberg und der Güterbahnhof Penzberg durch König Ludwig II. eröffnet wurden, war das Fundament für den wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt geebnet. Nur kurze Zeit später bevölkerten Kohlearbeiter aus Böhmen, Kärnten, Niederösterreich, Kroatien und dem Trentino Penzberg und seine Stollen (Foto: Archiv Heydenreuter).

Modern und dynamisch ist Penzberg, der bedeutende Wirtschaftsstandort im bayerischen Süden – im vergangenen Jahr feierte die Stadt ihr 100-jähriges Jubiläum. Dabei begann die Geschichte der einstigen Bergwerkssiedlung lange vor ihrer Erhebung zur Stadt am 1. März 1919. Kelten undRömer hinterließen hier ebenso ihre Spuren wie die frühen Bajuwaren, doch es sollte bis ins Jahr 1808 dauern, bis aus den zahlreichen mehr oder weniger großen Bauernhöfen ein einheitliches Gebilde entstand, das von nun an unter dem Namen St. Johannisrain auftrat. Niemand ahnte, dass wenige Jahrzehnte später die überschaubare Gemeinde dank des ergiebigen Kohleabbaus in der namensgebenden Penzberger Grube florieren würde.

 

Die 1910 erbaute Drahtseilbahn sowie die „Penzberger Dolomiten“, wie die Bergehalden genannt wurden, dienten dem deutsch-niederländischen Maler Heinrich Campendonk für seinen „Penzberger Reiter“ als inspirierende Vorlage (Foto: Stadt Penzberg).

In nur siebzig Jahren, von 1840 bis 1910, wuchs die Bevölkerung durch die Industrialisierung und den Zuzug von Kohlearbeitern so rasant, dass Penzberg kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges knapp 5.500 Einwohner zählte. Auch Sommerfrischler und Touristen entdeckten die Stadt nun für sich und bauten sich Häuser in malerischer Lage vor der Benediktenwand. Dem schloss sich die Künstlergruppe „Blauer Reiter“ an, die das kontrastierende Ambiente der Bergwerksstadt mit Heinrich Campendonks „Penzberger Reiter“ auch malerisch verewigte.

 

Nach einiger Verzögerung wurde die Regel des Elfmeterschießens von Karl Wald vom DFB, von der UEFA und 1976 schließlich auch von der FIFA übernommen (Foto: Stadt Penzberg).

Während für die Kunst des frühen 20. Jahrhunderts die Ästhetik des Orts eine bedeutende Rolle spielte, war für die Sportwelt der Gerechtigkeitssinn eines Penzberger Frisörs entscheidend. Karl Wald, passionierter Schiedsrichter, arbeitete Anfang der 1960er Jahre eine Regelung aus, mit der Entscheidungsspiele, die auch nach Ablauf der regulären Spielzeit keinen Sieger hervorgebracht hatten, nicht mehr durch reinen Losentscheid oder Münzwurf beendet wurden, sondern durch abwechselndes Elfmeterschießen: eine Revolution im Fußball. Ein ähnlich fortschrittlicher Geist ermöglichte auch den Aufstieg von Roche Diagnostics zu einem der weltweit größten Pharmakonzerne. Seit der Standortgründung in Penzberg 1972, nur sechs Jahre nach Schließung des Bergwerks, blickt die Stadt – heute mit Chemie statt Kohle – selbstbewusst in die Zukunft.