Bayerische Geschichte(n), 06/2015: Frühlingserwachen extrem

Ein Beispiel für klassisches Maibaumaufstellen: Nachgewiesenermaßen reine Männersache, traditionell ist keine Frauenhand zugelassen (Foto: Roger Fritz).
Ein Beispiel für klassisches Maibaumaufstellen: Nachgewiesenermaßen reine Männersache, traditionell ist keine Frauenhand zugelassen (Foto: Roger Fritz).

Liebe Leserin, lieber Lesern,

der Frühling weckt nicht nur die Natur aus ihrem Winterschlaf, auch der Bayer entwickelt nach der – für seine Verhältnisse – geruhsamen Winterzeit wieder frischen Tatendrang. Ein Glück, dass es bis zum 1. Mai und somit einem ersten Highlight des bayerischen Brauchtum-Kalenders nicht mehr weit ist: Maibaumaufstellen und Maibaumkraxeln zählen ja bekanntermaßen zu den Sportarten, bei denen sich das bayerische Wesen mit Vorliebe in seiner extremen Ausformung offenbart. Wobei man hier eine kleine Einschränkung vornehmen muss, denn klassisches Maibaumaufstellen ist ja reine Männersache, die Damen müssen sich mit einem ersten Ausführen des neuen Dirndls begnügen. Oder wie Ottfried Fischer, einer der wohl größten kabarettistischen Köpfe Bayerns, passend formuliert: „Beim Maibaum geht’s im Wesentlichen darum, wer den Längsten hat.“

Hier wurde wohl am Lösegeld, d.h. in den meisten Fällen am Bier gespart: Ein erfolgreicher Maibaumdieb beim Teeren und Federn des Schandbaums (Foto: Roger Fritz).
Hier wurde wohl am Lösegeld, d.h. in den meisten Fällen am Bier gespart: Ein erfolgreicher Maibaumdieb beim Teeren und Federn des Schandbaums (Foto: Roger Fritz).

Hat man den perfekten, sprich möglichst hoch gewachsenen Baum einmal gefunden, erfolgreich in die Nähe seines zukünftigen Standorts transportiert sowie dort versteckt, kommt eine dritte Disziplin ins Spiel: das Maibaumstehlen in Verbindung mit der obligatorischen Maibaumwache. Vor allem der männliche Teil der jeweiligen Dorfjugend verbringt einen nicht unerheblichen Teil des Aprils damit, den zum Maibaum auserkorenen Stamm zu bewachen und Pläne für den Diebstahl des Konkurrenzbaums vom Nachbardorf zu schmieden. Spricht die Wachmannschaft dabei dem bayerischen Nationalgetränk allzu begeistert zu, ist der Verlust des zu bewachenden Objekts vor allem eine leidvolle Angelegenheit: Als Lösegeld muss Bier fließen und zwar reichlich, sonst droht der geteerte und gefederte Schandbaum.

Max Sterzl bei der Arbeit: Der Baum samt Dekoration scheint zwar nicht mehr ganz frisch, der Kraxler im Äquilibrium aber umso mehr (Foto: Roger Fritz).
Max Sterzl bei der Arbeit: Der Baum samt Dekoration scheint zwar nicht mehr ganz frisch, der Kraxler im Äquilibrium aber umso mehr (Foto: Roger Fritz).

Ist der Baum einmal in der Vertikalen, dann steht einem weiteren Zeugnis männlichen Weltverständnisses nichts mehr im Weg: Der Mann respektive Bayer muss an die Spitze, ganz nach oben! Auch wenn er sich dafür erst zum Affen machen muss, denn diese Assoziation ist beim Betrachten enthusiastischer Maibaumkraxler durchaus naheliegend. Oft wird das Kraxeln mit einem Wettbewerb verbunden, denn was wäre der extremsportelnde Bayer denn ohne Herausforderung und Konkurrenz? Eben. Hilfsmittel in Form diverser möglichst klebriger Substanzen, die erst nach geheimnisvollen Rezepturen angerührt und dann großzügig auf Handflächen und Fußsohlen aufgetragen werden, sind übrigens erlaubt. Erfahrene Maibaumkraxler wie der hier gezeigte Max Sterzl haben die eine oder andere Mischung für ihre waghalsigen Kletterübungen parat.

Leben in Bayern ist Leben im Extrem. Davon können Roger Fritz, einer der bekanntesten und umtriebigsten Fotografen Bayerns, und Ottfried Fischer, der in vielerlei Hinsicht Größte aller Bayern, ein Lied singen. In ihrem Buch „Extrem Bayerisch“ sind sie u.a. dem als Extremsport gelebten bayerischen Brauchtum auf der Spur. Extrem gute Bilder illustrieren extrem hintersinnige Texte: Kabarett in Buchform.