Bayerische Geschichte(n), 24/2016: Lebe lieber ungewöhnlich oder: Mehr Herz wagen

Der Begegnung des Himmeguggas mit dem außerirdischen Wesen, nach dem er schon so lange Ausschau gehalten hat, wohnt etwas Magisches inne.
Der Begegnung des Himmeguggas mit dem außerirdischen Wesen, nach dem er schon so lange Ausschau gehalten hat, wohnt etwas Magisches inne. (Fotos: Erwin Ringsgwandl)

Liebe Leserin, lieber Leser,

im Chiemgau, genauer gesagt in Riedering am Simssee, schlägt seit zehn Jahren das Herz eines einzigartigen Theaters. Drei ungewöhnliche Stücke, die es nur hier zu sehen gibt, eine gute Mischung aus Laien und Profischauspielern, die auf der Bühne zu echter Höchstform auflaufen, und eine Familie, deren Leben das Theater ist, sind die Zutaten des Erfolgskonzepts. Und dann wäre da noch diese unerklärliche Art von Magie, die Abend für Abend von der Bühne auf die Zuschauer überspringt, die gleichzeitig begeistert und zum Nachdenken anregt. Ob es eine Botschaft in den Stücken von Theaterchefin Elfriede Ringsgwandl gebe, wurde der Huber Wast, einer der wichtigsten Stammschauspieler, einmal gefragt: „Ja, schon. Beim Himmegugga ist es den meisten klar, da ist einer auf der Sinnsuche, also ein uraltes Thema, das immer aktuell bleibt. Dem Menschen soll eigentlich seine Unwichtigkeit klar gemacht werden und das wird im Stück wie in einem alten Märchen erzählt (…) aber hernach (sollen die Zuschauer) einfach nur ein gutes Gefühl haben!“

Invasion der Blumenkinder: Die engstirnige und kleinherzige Welt des Großbauern kollidiert im Gsindlkind mit dem freien, fröhlichen Lebensentwurf der Hippies.
Invasion der Blumenkinder: Die engstirnige und kleinherzige Welt des Großbauern kollidiert im Gsindlkind mit dem freien, fröhlichen Lebensentwurf der Hippies.

Der grantige, verbitterte und doch so liebenswerte Erfinder Josef Hufnagel, genannt Himmegugga, ist dem größten Rätsel der Menschheit auf der Spur: Was ist der Sinn des Lebens – und existiert Gott? Die überraschend einfache und anrührende Antwort gibt ein Wesen von einem anderen Stern: Schau auf die kleinen Dinge im Leben, Gott findest du in dir selbst und vor allem – höre mit dem Herzen. Nicht nur in der Weihnachtszeit die wohl schönste Botschaft, die einem das All schicken kann. Ein Credo, das ebenso herzerfrischend einfach wie für die Theaterbühne ungewöhnlich ist. Elfriede Ringsgwandl hat es eben nicht so mit den durchschnittlichen Lebensentwürfen und Denkmustern, die man im Oberbayerischen normalerweise verfolgt. Aufgewachsen ist sie in der elterlichen Backstube, die Schulzeit war kurz, denn ihre Arbeitskraft wurde in der Bäckerei gebraucht. Wobei auch die Lehrer kaum etwas mit ihrer überbordenden Kreativität anzufangen wussten. Ihr Abschlusszeugnis versenkte Elfriede dann auch konsequent noch auf der Schultreppe im nächsten Papierkorb.

Eine Theateraufführung im Zelt der Familie Ringsgwandl ist immer ein Fest – im Zuschauerraum und auch auf der Bühne. Hier die fröhliche Versöhnungsfeier am Ende des Zigeunerbauers.
Eine Theateraufführung im Zelt der Familie Ringsgwandl ist immer ein Fest – im Zuschauerraum und auch auf der Bühne. Hier die fröhliche Versöhnungsfeier am Ende des Zigeunerbauers.

Die Künstlerseele von Elfriede Ringsgwandl, ihre leicht anarchische Ader und vor allem ihr Streben nach Freiheit zeigen sich besonders im zweiten Stück, das sie für ihre Theaterbühne geschrieben hat: Das Gsindlkind. Themen wie das Loslassen alter Gewohnheiten und die überwindung noch älterer Vorurteile werden zwischen der steifen, strengen Welt des Bauerndorfs und dem völlig zwanglosen Leben einer bunten Hippietruppe verhandelt. Verschlossene Herzen werden geöffnet, zum Schluss erklingt eine Ode an die Freiheit. Dass ihr Herz für die Bühne schlug, war Elfriede Ringsgwandl recht früh klar. Dass sie neben dem Schauspiel- auch das Schreibtalent besitzt, beweist auch das dritte von ihr verfasste Stück. Im Zigeunerbauer trifft das 16. Jahrhundert auf die Gegenwart. Und wieder geht es um den positiven, unangepassten, menschlichen Funken, der die gedanklichen Mauern aus Misstrauen und Ablehnung in Flammen setzt.

In „Wir spielen, bis keiner mehr kommt!“ geht Klaus Bovers einem Theaterphänomen auf den Grund, das seit zehn Jahren die bayerische Kulturlandschaft als vogelwildes Unikat gehörig aufmischt und Besucher von nah und fern begeistert. Wie die Stücke entstanden, wie sie auf die Bühne gebracht wurden, wie sie von einem bunten Theater-Clan aus Laien und Profis mit Leben erfüllt werden und wie sie immer wieder die Herzen der über 100.000 Zuschauer berühren, zeigen dazu bildgewaltig die Fotografien von Erwin Ringsgwandl.