Bayerische Geschichte(n), 22/2016: Ohrfeigen auf der Kanzel

Der Ort Selb in einer Handzeichnung des „Sechsämterlandes“ aus der sogenannten Selber Chronik des Diakons Magister Paul Reinel von 1560. Das Sechsämterland entspricht heute in etwa dem heutigen Landkreis Wunsiedel. (Foto: Stadtarchiv Wunsiedel/Peter Seißer)
Der Ort Selb in einer Handzeichnung des „Sechsämterlandes“ aus der sogenannten Selber Chronik des Diakons Magister Paul Reinel von 1560. Das Sechsämterland entspricht heute in etwa dem heutigen Landkreis Wunsiedel. (Foto: Stadtarchiv Wunsiedel/Peter Seißer)

Liebe Leserin, lieber Leser,

die großen Meilensteine der Reformation sind uns allen vertraut: Martin Luthers Thesenanschlag im Jahre 1517 oder Philipp Melanchthons Confessio Augustana, in der die lutherischen Reichsstände sich 1530 zur ihrem Glauben bekannten. Doch was geschah hinter der großen Bühne? Wie wirkte sich der Umsturz der katholischen Lehren auf die kleinen Kirchengemeinden in den Städten und Dörfern aus? Es ist kein Geheimnis, dass die fortschreitende Verbreitung der lutherischen Thesen für Konflikte im Kirchenvolk sorgte – und dass sogar in Fällen, bei denen beide Parteien eigentlich dieselbe Seite vertraten.

Die Kirche St. Andreas in Selb. Zur Zeit der beiden Kontrahenten Geißler und von Reitzenstein stand hier noch ein Vorgängerbau. Nach einem Stadtbrand wurde 1856 an gleicher Stelle die neue Stadtkirche erbaut. (Foto: Wolfgang Bouillon, Bayreuth)
Die Kirche St. Andreas in Selb. Zur Zeit der beiden Kontrahenten Geißler und von Reitzenstein stand hier noch ein Vorgängerbau. Nach einem Stadtbrand wurde 1856 an gleicher Stelle die neue Stadtkirche erbaut. (Foto: Wolfgang Bouillon, Bayreuth)

So auch beim Amtmann Hans Fabian von Reitzenstein und dem Pfarrer Balthasar Geißler. Obwohl sich beide der neuen Lehre verschrieben hatten, sorgten sie in der Kirchengemeinde Selb im Jahr 1586 für ordentlich Unruhe. Während einer Kirchenvisitation nutzten die Parteien die Gelegenheit, um ihrem Ärger Luft zu machen: Pfarrer Geißler beschwerte sich über die Nachlässigkeiten der Kirchgänger und ihre untugendhaften Freizeitbeschäftigungen, während der Stadtrat sich über die fantasiereichen Predigten des Geistlichen ausließ: „Er bring aber Fabeln uff die Kanzel, dass man seiner lache und nenne ihn einen Ziegen- und Märleprediger.“ Der Amtmann bekräftigte die Aussagen mit seinen Beobachtungen zu Geißlers eigenem unzüchtigen Verhalten. Der Priester sollte sich zuerst mal an die eigene Nase fassen.

Innenraum der Stadtkirche St. Andreas (Foto: Fotoclub Selb)
Innenraum der Stadtkirche St. Andreas (Foto: Fotoclub Selb)

Die Kommission ließ die Angelegenheit aber fallen und so nahm von Reitzenstein die Sache selbst in die Hand. Als der Pfarrer bei nächster Gelegenheit in der Messe wiederum die Selber verunglimpfte, schritt der Amtmann von seinem Platz auf der Empore herunter und gab dem Gottesmann vor versammelter Kirchengemeinde ein paar Ohrfeigen. Über den tätlichen Angriff empört, schaltete der Pfarrer die örtlichen Behörden ein – doch weder diese noch die Regierung in Kulmbach wollten sich in diesem Fall entscheiden. Somit wurde das Delikt bis zur juristischen Fakultät in Ingolstadt getragen, die letztendlich dem Amtmann recht gab. „Als Mann der Kirche“ hätte Geißler „ohnehin die andere Wange hinhalten müssen“, hieß es im Urteil.

Pünktlich zum Reformationsjubiläum 2017 erzählen 33 „Kleine Reformationsgeschichten“ von den Anfängen der Reformation im Kirchenkreis Bayreuth (Oberfranken und angrenzende Randgebiete Mittel- und Unterfrankens sowie der Oberpfalz) und zeigen, wie sich die große Reformationsgeschichte in den Dörfern und Städten ausgewirkt hat.