Bayerische Geschichte(n), 21/2016: Kleine Gebrauchsanweisung für das Paradies auf Erden

Bayern sind grob, aber herzlich. Und auch Preußen, also alle Nicht-Bayern, sind im paradiesischen Freistaat willkommen – vorausgesetzt, sie verstehen etwas von der bayerischen Lebensart.
Bayern sind grob, aber herzlich. Und auch Preußen, also alle Nicht-Bayern, sind im paradiesischen Freistaat willkommen – vorausgesetzt, sie verstehen etwas von der bayerischen Lebensart.

Liebe Leserin, lieber Leser,

das Paradies: Wenn die biblische Erzählung stimmt, hat hier die Geschichte der Menschheit begonnen. Ein wunderbarer Ort, um die ersten wohlbehüteten Schritte auf der Erde zu unternehmen – weiches Gras unter den Füßen, blauer Himmel über dem Kopf, die Sonne wärmt und die Natur sorgt an jeder Ecke für fruchtig süße Verpflegung. Ein Elend, dass Adam und Eva dieses sorglose Leben mit dem verhängnisvollen Biss in den Apfel verspielt haben. Am leichtesten kann wohl der Bayer den Verlust des himmlischen Paradieses verschmerzen, lebt er doch unter dem sprichwörtlich weiß-blauen Himmel mit Blick auf idyllische Wiesen, Wälder, Seen und Berge im – landschaftlich gesehen – irdischen Garten Eden. Und gegen die Mühsal des Daseins hat der Bayer den ein oder anderen Kniff parat. Lebensweisheit gefällig?

Paradiesische Zustände hängen in Bayern auch von der gesicherten Versorgung mit dem „flüssigen Brot“, dem Nationalgetränk Bier, ab.
Paradiesische Zustände hängen in Bayern auch von der gesicherten Versorgung mit dem „flüssigen Brot“, dem Nationalgetränk Bier, ab.

„Wer nia umgworfa hat, is nia gfahrn.“ Jeder macht einmal Fehler, ob bei der Arbeit, in der Schule oder zu Hause – oder, dem Spruch nach, bei der Ernte, wenn der hoch beladene Heuwagen in der zu optimistisch genommenen Kurve der Fliehkraft nicht mehr standhalten konnte. Kleingeistern schnellt in solchen Fällen der Blutdruck nach oben, paradiesischer wird das Leben aber, wenn man es auch mit allen Unvollkommenheiten nimmt, wie es kommt. Und sollten Ärger und Stress doch einmal überhandnehmen, hilft immer noch die Stammtischrunde im nächsten Wirtshaus: „Versauft’s net eier ganz Goid, kafft’s eich liawa a paar Hoibe!“ Ein Klischee mit wahrem Kern: Der Bayer hat eine besondere Beziehung zu seinem Nationalgetränk, dem Bier, wendet es in dringenden Fällen auch als Allheilmittel gegen den Alltags-Blues an und setzt den Ratschlag, sein Geld am besten flüssig anzulegen, mit Vorliebe in die Tat um.

Geselligkeit, Gemütsruhe und Großzügigkeit praktiziert man in Bayern sogar wenn’s ans Sterben geht: Eine „Leich“, also die Beerdigung samt Totenmahl, ist in Bayern nur dann sprichwörtlich „schön“, wenn dem Verstorbenen nicht nur in Trauer gedacht, sondern auch am gut gefüllten Wirtshaustisch auf ihn angestoßen wird.
Geselligkeit, Gemütsruhe und Großzügigkeit praktiziert man in Bayern sogar wenn’s ans Sterben geht: Eine „Leich“, also die Beerdigung samt Totenmahl, ist in Bayern nur dann sprichwörtlich „schön“, wenn dem Verstorbenen nicht nur in Trauer gedacht, sondern auch am gut gefüllten Wirtshaustisch auf ihn angestoßen wird.

Dem Biertrinken wohnt nun auch eine ausgeprägte soziale Komponente inne, denn nur in geselliger Runde, im Biergarten oder Wirtshaus, lässt sich der Genuss so richtig zelebrieren und sorgt dazu noch für gute Stimmung. Auch der Gesprächsbedarf und die Lust an Neuigkeiten, die sogar die männliche Hälfte der Bayern hin und wieder verspüren soll, lässt sich im Wirtshaus wunderbar stillen. Diskutiert werden dann selbstverständlich die großen und kleinen Skandale im Dorf und in der ganzen Welt – mit einem gerüttelt Maß an bayerischer Gelassenheit, schließlich heißt es nicht umsonst: „Es is nix so wichtig, ois dass‘ net moing scho wieder wurscht war.“ Das Paradies auf Erden schafft man sich in Bayern mit den Zutaten Geselligkeit, Gemütsruhe und Großzügigkeit. Nicht umsonst heißt einer der wohl wichtigsten Grundsätze bayerischer Lebensart: „Lem und lem lassn.“

Johann Rottmeir, unser Experte für Sinnsprüche, Redensarten und Lebensweisheiten, hat noch einmal seine Schatzkiste voll mit altem Sprach- und Kulturgut geöffnet. Nach seiner ersten Spruchsammlung „A Hund bist fei scho“ und der Wortkunde „Bazi, Blunzn, Breznsoizer“ schließt sich mit „Jetz gherst da Katz!“ der Kreis: eine höchst unterhaltsame Entdeckungsreise in die Untiefen der bayerischen Mundart und Lebensart.