Bayerische Geschichte(n), 21/2014: Typisch Oberbayern oder doch bloß ein Klischee?

Maibaum
Das Maibaumaufstellen ist – anders als die anschließende Maifeier und überhaupt der ganze Wonnemonat – reine Männersache. Überhaupt soll es bei diesem weitverbreiteten Brauch sowieso einzig und allein darum gehen, wer den Längsten hat – so will es zumindest das Klischee.

Liebe Leserin, lieber Leser,

früher war es zwar um einiges stärker ausgeprägt, doch heute ist es trotzdem noch mancherorts vorhanden: Das Klischee, alle Bayern seien schlechtgelaunte, gewaltliebende Bauerntölpel. So sagte zum Beispiel der Österreicher Heimito von Doderer, nachdem er zwei Jahre von 1936 bis 1938 in Oberbayern verbracht hatte: „So also ist hier das Volk: Von einer dumpfen, stierhaften Gereiztheit, Streitlust und Rauflust, die zu der ohnehin bedeutenden Herzensrohheit, welche uns Deutsche leider auszeichnet, noch als bayrische Besonderheit hinzutritt. (…) Die bayerische Bevölkerung zerfällt in zwei Teile, einen kleineren und einen weitaus größeren. Den ersten bilden die, welche von Beruf Metzger sind. Den zweiten jene, die nur so aussehen!“ Doch solche Vorurteile sind bloß der Versuch, die Komplexität der Wirklichkeit zu vereinfachen und dadurch eigene Unsicherheiten zu kaschieren. So sagt auch Norbert Göttler, Bezirksheimatpfleger von Oberbayern: „Je massiver Stereotype zementiert werden, umso zittriger das dahinter steckende Seelchen.“

Goaßlschnalzen
Das Goaßlschnalzen gehört wie das Schuhplattln, das Gstanzlsingen oder das Fingerhakeln zu den traditionellen bayerischen „Sportdisziplinen“, bei denen sich tollkühne Männer vor dem – ob der kraftstrotzenden Männlichkeit dahinschmelzenden – „schwachen“ Geschlecht produzieren dürfen.

Vielleicht wird aber einfach die bayerische Tradition des „Auffischiassn“, auch genannt „Derblecken“ oder „frotzeln“, gänzlich missverstanden. Auf Hochdeutsch könnte das in etwa definiert werden als „Lust am spöttischen Herabmindern“, wobei den Bayern ihr saftig-derber Humor zu Hilfe kommt. Allerdings besteht das Ziel keinesfalls darin, das Gegenüber wissentlich zu verletzen, schließlich ist man auf seinen „Spielpartner“ angewiesen. Denn dieser muss die spöttische Herausforderung annehmen und sie seinerseits im besten Fall noch übertreffen. Dann ist wiederum der erste an der Reihe, sich etwas auszudenken und den anderen noch höher „hinaufzuschießen“. Je länger sich diese Spirale dreht, desto besser fürs Spiel und die daran Beteiligten. Als Beispiel kann ein älterer Herr mit vollem grauem Haar dienen, der sich über einen kahlköpfigen Zeitgenossen lustig macht, ihn also frotzelt. Doch statt beleidigt zu sein, entgegnet der Kahle schlagfertig: „Dö gscheiten Leut’ werden plattert, und d’Esel werden grau.“ Am Ende können beide miteinander lachen, was das eigentliche Ziel des „Auffischiassn“ ist

In „Oberbayern. Vielfalt zwischen Donau und Alpen – jenseits des Klischees“ räumt Norbert Göttler mit sämtlichen Vorurteilen auf und stellt Oberbayerns Vielfalt bezüglich Landschaft, Mentalität, Tracht, Bräuchen und Musik innerhalb verschiedener Regionen dar. Die ganz unterschiedlichen Sichtweisen und Darstellungsformen, gegeben durch das Mitwirken zahlreicher versierter Autoren haben zu einem äußerst abwechslungsreichen Buch geführt, das die Kulturregion Oberbayern gänzlich ohne Stereotype beschreibt.