Bayerische Geschichte(n), 14/2014: Der Unbezähmbare

Soldaten auf dem Weg in die Türkenkriege in einer Miniatur aus Hektor Mülichs Chronik aus dem Jahr 1456.
Soldaten auf dem Weg in die Türkenkriege in einer Miniatur aus Hektor Mülichs Chronik aus dem Jahr 1456.

Liebe Leserin, lieber Leser,

der Lech markiert die Grenze zwischen Bayern und Schwaben. Auf der Lechbrücke empfingen die Augsburger mit Pauken und Trompeten den Kaiser. Der Fluss war seit der Antike die Lebensader der Stadt und ermöglichte ihren Aufstieg zum bedeutenden Handelsimperium, denn er stellte die Verbindung zu den beiden wichtigen Straßen aus Oberitalien dar. Auf der „Oberen Straße“ über Bozen, den Reschenpass und Füssen und auf der „Unteren Straße“ über den Brenner, Innsbruck und Mittenwald kamen die Waren in die Stadt. Über den Lech wurde auch die Holzversorgung Augsburgs abgewickelt. Ja, der Fluss diente sogar für den Truppentransport auf dem Weg in die Türkenkriege. Der mächtige Wildfluss barg aber seit jeher auch Gefahren für Augsburg und seine Bürger.

Eine glückliche Rettung aus Todesgefahr stellt das Votivbild aus dem Jahr 1749 dar, das der Schreinermeister Joseph Echtler nach einem Floßunglück stiftete.
Eine glückliche Rettung aus Todesgefahr stellt das Votivbild aus dem Jahr 1749 dar, das der Schreinermeister Joseph Echtler nach einem Floßunglück stiftete.

Im Jahr 1485 notierte der Chronist, dass der Lech „an sant Jacobs tag die statmaur zerprochen und hat in häusren, gärten und andern orten grosen schaden than“. Und damit nicht genug: „in der vorstat haben menschen auf schiffen zu ainander miessen faren (…) und sind der stat fisch alle darvon geschwumen.“ Aber nicht nur bei Unwettern und Überschwemmungen war der Lech unberechenbar, in der Stadtchronik finden sich auch immer wieder Berichte von Ertrunkenen. Besonders gefährdet waren natürlich Kinder – das wussten schon die einschlägigen Rechtstexte des Mittelalters. Wer den Ertrinkungstod eines Kindes zu verantworten hat, der ist des Totschlags schuldig, heißt es in der Rechtssumme Bruder Bertholds: „Wer auch ein chind mit einem pfaerd zu der trenk sendet, und verput dem chind, daz es in daz wasser niht solt reiten, und ertrunk daz chind, er waer doch manslaechtig…“

Flugblatt
Unfälle, wie sie ein Flugblatt aus dem 16. Jahrhundert anschaulich darstellt, waren beim Triften keine Seltenheit.

 

Auch bei der Bewältigung einer regelrechten „Energiekrise“ zu Beginn des 16. Jahrhunderts spielte der Lech eine entscheidende Rolle: Der Holzbedarf für die wachsende Bevölkerung in der aufstrebenden Stadt war enorm, auch metallverarbeitende Gewerbebetriebe wie Schmelzöfen, Gießereien und Hammerwerke benötigten große Mengen Holz und Holzkohle, Kriege taten ein Übriges und wenn auch noch der Reichstag in Augsburg tagte, mussten bis zu 15.000 Menschen zusätzlich in der Stadt versorgt werden. Für die ärmeren Bewohner Augsburgs war Brennholz geradezu unerschwinglich geworden, deshalb musste es von Seiten der Stadt an Bedürftige verteilt werden. Da der Lech nicht schiffbar war, schwemmte man das Holz aus den Gebirgstälern durch Triften oder aber mit Flößen nach Augsburg – nicht selten kam es dabei zu verheerenden Unfällen.

Der einstmals wildeste Gebirgsfluss Bayerns besteht heute aus einer Kette von 24 Stauseen mit Flussabschnitten: Betonmauern, Kanäle, Deiche und Sohlstufen so weit das Auge reicht. Der Lech ist still geworden, 31 Kraftwerke entziehen ihm seine Kraft. Das von Marita Krauss, Stefan Lindl und Jens Soentgen herausgegebene Buch „Der gezähmte Lech. Ein Fluss der Extreme“ zeichnet die Biografie der Flusslandschaft vom Mittelalter bis heute nach. Unterstützt von umfangreichem Bildmaterial und auf der Grundlage neuer Forschungsergebnisse fragen die Autoren unterschiedlicher Fachdisziplinen nach den Konflikten und Konfliktlösungen am Lech.