Bayerische Geschichte(n), 13/2015: Der Kinderwagen als Geheimversteck

Dieses Waffeleisen war die Grundlage für die heute weithin bekannte Waffel- und Oblatenfabrik.
Dieses Waffeleisen war die Grundlage für die heute weithin bekannte Waffel- und Oblatenfabrik. (Leihgeber: Wetzel Oblaten- und Waffelfabrik GmbH, Foto: Christian Martin Weiss)

Liebe Leserin, lieber Leser,

in Marienbad in Westböhmen ließ sich die junge Marlene Wetzel-Hackspacher zur Konditorin ausbilden. Besonders angetan hatten es ihr dabei die traditionellen Karlsbader Oblaten. Bei der Flucht im Januar 1946 versteckte sie daher ein 15 Kilogramm schweres Waffeleisen im Kinderwagen ihrer kleinen Tochter. Während der entbehrungsreichen Fahrt nach Bayern saß die Tochter sozusagen auf der künftigen Lebensgrundlage. Als junge Witwe musste sie für ihren Lebensunterhalt und den ihres Kindes selbst aufkommen. Und das tat sie, natürlich, mit frisch gebackenen Oblaten. Heute ist sie Seniorchefin der Firma „Wetzel Oblaten“, die ihren Sitz in Dillingen hat.

Auf der Flucht erwies sich der Rucksack als unentbehrlicher Begleiter.
Auf der Flucht erwies sich der Rucksack als unentbehrlicher Begleiter. (Leihgeber: Peter Alexander, Foto: Christian Martin Weiss)

Während der Sommerfrische 1944 in Niden erreichte den damals 15-jährigen Peter Alexander und seine Eltern die schreckliche Nachricht: Ihr Haus in Tilsit (Ostpreußen) war bei einem Luftangriff von Brandbomben getroffen worden und abgebrannt. Die Familie entschied sich schließlich im Januar 1945, ihre Heimat zu verlassen. Sie machte sich mit dem Pferdeschlitten auf dem Weg zum Pillauer Seehafen. Die Frauen und Kinder wurden von einem Torpedoboot aufgenommen, aber Peter und sein Vater mussten sich einen anderen Fluchtweg suchen. Die strapaziöse Reise führte über Danzig und Stettin schlussendlich nach Sachsen. Immer dabei: Der Rucksack, der auch noch der nächsten Generation auf Pfadfinderausflügen gute Dienste leistete.

Ganze 80 Jahre ist der Teddybär mittlerweile alt.
Ganze 80 Jahre ist der Teddybär mittlerweile alt. (Leihgeberin: Friederike Niesner, Foto: Christian Martin Weiss)

Der Teddybär ist so kahl, weil die Schwester von Friederike Niesner Friseur spielte und ihm einfach alle Haare vom Kopf schnitt. Im April 1945 mussten sie, ihre Familie und der Tedy (mit langem „e“ gesprochen) per Lastwagen aus Brünn (Mähren) Richtung Süden fliehen. In Österreich angelangt, blieb ihnen das Lager nur erspart, weil die Wohnungen ihrer Verwandten noch unzerstört waren. Nach fünf Jahren in Wien übersiedelten sie nach Bayern. In all der Zeit war der Tedy Begleiter, Freund und Tröster der kleinen Friederike. Heute sitzt er auf ihrer Couch und schaut einen noch immer aus seinen Knopfaugen treuherzig an.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden Millionen Deutsche aus dem östlichen Europa vertrieben. Viele Flüchtlinge versuchten, für sie wertvolle Gegenstände zu retten. All diese Erinnerungsstücke haben ihren hohen ideellen Wert für ihre Besitzer nie verloren und berichten von Angst und Hoffnung, Flucht und neuer Heimat. In „Mitgenommen. Heimat in Dingen“ werden ihre Geschichten wieder lebendig.